|
Venedig im Winter zu besuchen hat einen besonderen Reiz. Zwischen engen Gassen und dunklen Kanälen mag man an den Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen" von Nicolas Roeg erinnert werden. Venezia, ein Gewirr von Kanälen, Brücken und Plätzen, dazwischen manchmal die Sonne. Fast lautlos ziehen Schiffe vorbei, Passanten tauchen auf und verschwinden wieder in einer der nächsten Gassen. Nebel breitet sich aus, die feuchte Kälte spürt man bis auf die Knochen. Man vermißt den blutroten Mantel des Kindes aus dem Film, findet die Farbe wieder im Rot der Karnevalskostüme auf den Plakaten.
Diese wegen ihrer Lage einmaligen Stadt verdankt ihre Entstehung Flüchtlingen, die im 5 Jahrhundert zunächst die kleinen Inseln der Lagune besiedelten. Sie schlossen sich zum Venetischen Seebund unter Führung eines Dogen zusammen. Da der Baugrund weich und damit für eine Besiedelung ungeeignet war, behalf man sich damit, eine Vielzahl von Baumstämmen in den Boden bis zum härteren Untergrund zu rammen. 118 Inseln befestigte man auf diese Weise, etwa 20.000 Gebäude wurden auf jenem Untergrund erbaut. Durch Umweltverschmutzung und das Abpumpen von Erdgasfeldern unter der Lagune bedingt, sinkt Venedig jährlich Millimeter um Millimeter.
Venedig entwickelte sich zur mächtigen Seerepublik, erlangte großen Reichtum durch Handel mit Gewürzen und Seide und wurde zu einem Zentrum der Kunst und Architektur. Kein Wunder, daß diese Stadt viele Künstler hervorbrachte und förderte: Die Komponisten Monteverdi und Vivaldi etwa und die Maler Tintoretto und Canalotti. Auch der Liebeskünstler Giacomo Casanova ist ein Kind dieser Stadt und verkörpert auch heute noch den typischen Vertreter des Rokoko-Venedigs.
Das alte, barocke Venedig scheint regelmäßig im Februar während des Carnevale, des Karnevals in Venedigs, wieder aufzuleben. Zahlreiche Menschen bevölkern die Gassen und Plätze in historischen Kostümen, mit venezianischen Masken, Federschmuck, Umhängen und Perücken. Die Stadt bietet dabei die ideale Kulisse für dieses Treiben. Eine anmutige Eleganz ist den Verkleideten zu eigen, die sehr bunten Kostüme haben aber auch einen leicht melancholischen Charakter. Auf zahlreichen Bällen in den Sälen und Palästen kann sich das vermögende Publikum stilecht amüsieren und erlesene Speisen genießen und sich mit historischen Tänzen amüsieren.
U
Die Wiedereinführung des Karnevals in Venedig 1979 war auch eine großartige Idee, das Touristengeschäft in den Wintermonaten zu beleben. Tatsächlich hatte es vorher fast zwei Jahrhunderte keinen Karneval in der Lagunenstadt mehr gegeben. Napoleon, der Venedig 1797 besetzte, verbot kurzerhand den Karneval, da ihm das Maskieren als gefährlich und undurchsichtig erschien. Doch auch vorher erregte der Karneval bereits den Unwillen der Stadtoberen, war es doch die ursprüngliche Idee des Karnevals, durch Verkleidung die gesellschaftlichen Hierarchien zu durchbrechen, indem man in eine Rolle schlüpfte und eine andere Identität annahm. Die Regierenden verboten den Venezianern beispielsweise, Masken in Kirchen zu tragen, oder untersagten es den Männern, sich mit Perücken und Bärten oder Frauenkleidern zu schmücken.
Nach den närrischen Tagen kehrt schnell wieder die winterliche Ruhe in die Stadt ein. Auf dem Markusplatz sind die Menschenmassen verschwunden, die vielen Tauben haben wieder Platz auf dem Platz. Die Piazza di San Marco (Markusplatz) wird sicherlich jeden Besucher beeindrucken. Genauso San Marco, die Markuskirche mit ihren 5 Kuppeln und den orientalisch anmutenden Verzierung, der Pallazo Ducale (Dogenpalast), eines der Wahrzeichen Venedigs und natürlich der Campanile. Fährt man mit dem Schiff auf die Nachbarinsel S. Giorgio Maggiore, so hat man eine hervorragende Sicht auf den gesamten Gebäudekomplex.
Eine Bootsfahrt empfiehlt sich grundsätzlich, etwa auf dem Canal Grande, um die vielen Paläste mit den unterschiedlichsten Baustilen zu erleben. Es lohnt sich, eines der Häuser von innen zu besichtigen. Besonders hinweisen möchte ich auf die Accademia di Belle Art, in der eine Gemäldegalerie mit über 800 Bildern untergebracht ist. Besonders sehenswert sind die Gemälde von Tintoretto, dem Meister der kreiselartigen, wirbelwindgedrehten Bewegungen.
Gerne bleibt man auch an der Ponte die Sospiri, der Seufzerbrücke stehen und gedenkt mit einem Seufzen all derer, die vom Gefängnis über die Brücke in den Dogenpalast geführt wurden. Die als wenig milde bekannten Richter Venedigs schickten die Gefangenen oft in die "Bleikammern", Zellen, direkt unter dem Bleidach gelegen, die in den Sommermonaten sehr heiß wurden, und deswegen sehr gefürchtet waren.
Ein Kurzbesuch in früheren Jahren führte mich im August in diese Stadt. Unter dem Einfluß der Hitze, der Menschenmassen und meines jugendlichen Desinteresses, war für mich damals der einzige Höhepunkt das Füttern der Tauben. Die überwältigende Schönheit dieser Stadt sah ich erst bei meinem zweiten Besuch von Venedig viele Jahre späteren im Wintermonat Februar.