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FKK for Dummies
 
 
 

Kaum spürt man die Sonne auf der Haut, hüpfen die Frischluftnackedeis wieder aus ihren Klamotten und tummeln sich hüllenlos auf den Wiesen des nahen Baggersees. Kultur, nennen sie es, Freikörperkultur. Einem spontanen Einfall folgend besuche ich heute zum ersten Mal einen Nacktbadestrand und mische mich unter die Kulturschaffenden mit ihren Freikörpern. 

Der blaue See gähnt müde vor sich hin. Ein paar Bäume wirken unausgeschlafen, stehen verloren in der Landschaft. Nur der Wind zupft manchmal erwartungsvoll an den Blättern. 

Ich gehe auf einem schmalen Wiesenpfad direkt am Ufer entlang, als meine Schritte plötzlich langsamer werden. Was um alles in der Welt, frage ich, treibt mich dazu, die Gesellschaft jener verrückten Nackten zu suchen? Ist diese Tat eine Mutprobe oder doch nur primitivste Triebbefriedigung, mit visuellen Reizen provozierte Wollust? Igitt! Was bin ich nur für ein ekelhafter Lüstling. Ich würde mich nicht wundern, wenn Mütter ihre Kinder vor mir warnten. Erfüllt das Nacktbaden bereits einen Straftatbestand? Die Badehose, beschließe ich, bleibt jedenfalls immer in Reichweite. 

Nüchtern betrachtet ist es das Natürlichste der Welt, sich nackt an der frischen Luft zu bewegen. Den Kleiderzwang haben wir schließlich nur der Prüderie der katholischen Kirche zu verdanken. Nackt sein, nackt baden, die Unbefangenheit genießen, den Wind und die Sonne auf der Haut, das alles muß ein sehr befreiendes Gefühl sein. 

Nacktbaden ist nichts Unanständiges, rede ich mir ein. Schließlich bin ich nicht verklemmt und durchaus modern erzogen. Leichte Zweifel kommen mir bei dieser Behauptung. Habe ich Vater und Mutter jemals nackt gesehen? Meine Kinder werden jedenfalls anderes erzogen, das steht fest. In der heutigen Zeit sieht man alles viel lockerer. Der Gesundheitsaspekt ist natürlich auch wesentlich - nasse Badekleidung fördert bekanntlich Blasenentzündungen, eine Tatsache, die man keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen darf. Ach, denke ich mir, Augen zu und durch. Jetzt wird das einfach einmal ausprobiert. 

Wie ein schüchterner Schulbub stehe ich zunächst am Rande der Liegewiese und kann mich nicht dazu entschließen, das feindliche Areal zu betreten. Dann gebe ich mir aber einen Ruck und setze mich vollständig bekleidet auf meine Decke und grinse zunächst verlegen den Boden an. Erst nach einigen Minuten hebt sich mein Blick und ich registriere die Umgebung. Munteres Geplauder, nacktes Stolzieren, langgestreckte Leiber in der Sonne. Belanglose Gespräche: Herr A, Frau B, auch wieder da? (Eine Frage, die sich generell schlecht verneinen läßt). Was machen die Kinder? An einer anderen Stelle werden Kochrezepte ausgetauscht. Ich frage mich verwirrt, wie man angesichts dieser nackten Tatsachen Kochrezepte austauschen kann. Ich lasse mich jedoch überzeugen. Es ist tatsächlich möglich. 

Nur nicht zu sehr auf sonst verdeckte Körperteile starren, nehme ich mir vor. Und bloß keine Aufmerksamkeit erregen. Zögernd erhebe ich mich und zupfe an meiner Hose. Ich hole tief Luft und ziehe sie schnell mit einer einzigen Bewegung herunter. Eilig setze ich mich wieder auf den Boden, bin erleichtert, daß ich es hinter mir habe. Hat es irgend jemand bemerkt? Ängstlich sehe ich mich um. Nein, die Nackten unterhalten sich immer noch über Kochrezepte. Ich beruhige mich langsam. 

Nach einer kurzen Erholungsphase beschließe ich, daß ich mich zunächst auf den Bauch lege, um nicht unfreiwillige Reaktionen hervorzurufen und damit womöglich noch verurteilende Blicken auf mich zu ziehen. Es ist wirklich ungerecht, daß wir Männer mit diesem verräterischen Instrument, jenem Gradmesser unserer triebhaften Gedanken, ausgestattet sind, das jede Erregung, jeden Wechsel unserer Befindlichkeit unbarmherzig anzeigt wie ein Fieberthermometer, das nüchtern darüber informiert, ob der Patient Fieber hat oder nicht. Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick auf meine Badehose. 

Es wird von den Nacktbadern offensichtlich gerade noch geduldet, wenn man zum Schwimmen wieder zur Badehose greift. Nun gibt es einfach Menschen, die den Weg bis zum Wasser nicht baumelnden Geschlechts zurücklegen wollen. Schnell ziehe ich sie mir über, schnell deswegen, weil ich dazu wieder aufstehen muß. Das Wasser ist erfrischend kühl. Ich schwimme hinaus, tauche ein paar mal unter, kraule zurück ans Ufer. Auf meiner Liegedecke ziehe ich brav die Badehose wieder aus und versuche erneut, mich ganz dem Nacktbaden hinzugeben. 

Langsam mache ich mir Gedanken darüber, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Oberstes Ziel aller Nacktbader ist es, eine gleichmäßige Bräunung der Haut zu erreichen. Deshalb sollte nicht nur einseitig der Rücken gebräunt werden. Wie ein Hühnchen am Grill muß auch jeder Nacktbader regelmäßig gewendet werden. Das Bräunen des Bauches ist jedoch problematisch, denn man kann nie voraussagen, welche Richtung das störrische Teil unterhalb der Gürtellinie einschlagen wird. Womöglich wird man noch als Lüstling gebrandmarkt und des Strandes verwiesen. Ich schaue mich um und sehe, daß die übrigen Nacktbader dieses Problem recht gut im Griff haben. Unwillkürlich muß ich über den ungewöhnlichen Anblick der vielen Geschlechtsteile lachen, die um mich herum in der Landschaft herum hängen. Wahrscheinlich haben die anwesenden Herrschaften alle eine Überdosis Schlaftabletten zu sich genommen, um die erforderliche Entspannung zu erzielen -  oder den entsprechenden Frühsport hinter sich. Das ist es, denke ich mir. Hätte ich doch auch ... 

In der Ferne taucht ein ungleiches Paar auf. Eine kleine, zierliche und sehr hübsche Frau und ein hagerer junger Mann. Die Frau hat schöne, strahlende Augen. Er läuft zögernd und verkrampft hinter ihr her. 

Ich blicke zum Himmel und sehe ein kleines Wölkchen. Fachmännisch schätze ich ab, ob sich die Wolke vor die Sonne schieben wird. Nein, wir haben Glück. Keine Gefahr für uns Sonnenhungrige. 

Die Schöne und Herr Hager suchen einen passenden Liegeplatz. Ich krame nach meiner Zeitung. Endlich haben die zwei ihre Wahl getroffen; sie lassen sich nicht weit vom Wasser nieder. Die Frau steht in wenigen Sekunden völlig nackt da und lächelt. Ich starre sie kurz an, bis ich, über diese Tatsache erschreckt, zusammenfahre und mich hinter meiner Zeitung verstecke. Die Politik interessiert mich nur wenig. Ich linse kurz über meine Zeitung. 

Der hagere Mann hat inzwischen sein Hemd ausgezogen. Ein Rippengebirge kommt zum Vorschein. Ich suche in meiner Zeitung nach dem Lokalteil. Die Sonne brennt inzwischen heiß herunter. Die Haut im Gesicht fühlt sich trocken an. 

Als ich meine Zeitung sinken lasse, sehe ich, wie Freund Hager umständlich ein Badehandtuch um die Hüften schlingt und auf komplizierte Weise versucht, sich seiner Unterhose zu entledigen. Nach einiger Zeit schafft er es schließlich. Die schöne Blonde hat sich unterdessen dekorativ auf der Liegedecke ausgebreitet und lächelt mit geschlossenen Augen in die Sonne, die hoch am tiefblauen Himmel steht. Sie beachtet ihren Begleiter nicht. Dieser ist damit beschäftigt, ungeduldig seine Badehose in dem Gewühl der mitgebrachten Badetasche zu suchen. Endlich zieht er sie wie einen toten Fisch heraus. Bei dem Versuch, ein Bein zu heben und die Badehose über den Fuß zu streifen, fällt ihm das Handtuch auf den Boden, so daß sein weißes, fluoreszierendes Hinterteil sichtbar wird. Ein leichtes Raunen geht durch die Menge. Inzwischen ist man auf die Vorstellung des jungen Mannes aufmerksam geworden. Dieser ist jedoch so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß er diesen Umstand nicht registriert. Schnell wickelt er das Handtuch wieder um die Lenden und versucht von Neuem, seine Badehose anzuziehen. Wie ein Storch auf einem Bein steht er im Gras, hüpft zuweilen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Unglücklicherweise besitzt er aber so lange Beine, daß es ihm einfach nicht gelingen will, den Fuß durch die Badehose zu stecken. Die Zuschauer beginnen inzwischen langsam, miteinander zu tuscheln und sich in die Rippen zu stoßen. Auch des hageren Burschen Freundin richtet ihre Aufmerksamkeit allmählich auf die unbeholfenen Versuche ihres Helden. Aufmunternd lächelt sie ihn an. Freund Hager schimpft jedoch ärgerlich vor sich hin. Inzwischen verfolgen sämtliche Anwesenden gebannt das Schauspiel, unbemerkt von ihrem Hauptdarsteller. 

Immer wieder sind seine Versuche, die Badehose an die dafür vorgesehene Stelle zu plazieren, erfolglos. Schließlich bietet ihm seine reizende Freundin ihre Hilfe an. Das Publikum verfolgt gespannt das Geschehen. Alle Blicke sind nun auf die groteske Badehosenaktion gerichtet. Beherzt nimmt die Freundin das Badehandtuch in die Hand, hält es sorgsam um ihres Begleiters Hüften, so daß der Verzweifelte endlich zwei Hände frei hat für seine Badehose. Nach mehrmaligen Stolpern und vielen Verrenkungen schafft Herr Hager es schließlich und die Badehose erreicht endlich ihr Ziel. Die Freundin zieht das Badehandtuch mit einem einzigen Ruck von seinem Körper, gekonnt wie die reizenden Assistentinnen eines Meisterzauberers. Spontaner Applaus stellt sich ein. Erst allmählich bemerkt Freund Hager, daß er der Grund für die allgemeine Erheiterung ist. Sekundenschnell läuft er dunkelrot im Gesicht an und wälzt sich verzweifelt auf seiner Liegedecke (im Boden versinken kann er ja leider nicht). Erst als sich die Zuschauer wieder ihren unterbrochenen Gesprächen widmen, merke ich, wie still es in den letzten Minuten gewesen war. Auch ich muß über die unfreiwillige Vorstellung schmunzeln, sehe auf meine Uhr und beschließe, schnell noch ein Bad zu nehmen. Das Wasser ist herrlich. Ich schwimme mit kräftigen Zügen hinaus. Erst als ich in der Mitte des Sees angelangt bin, bemerke ich, daß ich am Ufer meine Badehose vergessen habe. 
 
 
 

Oktober 1999
 
 
 
 

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