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Gedanken an Franz Josef Strauß
 
 
 

2 Uhr nachts. Die Uhr zerschlägt mir die Zeit in kleine, gleiche Stücke. Der Schlaf scheint so weit wie die Morgendämmerung. Ich zähle meine Gedankentrümmer und gebe es auf, sie zu ordnen. In der Nacht ist man dem Tod viel näher als dem Leben. Ich würde gerne ein Lied singen, wäre da nicht ... wäre da nicht dieses ungeschriebene Gesetz, dass man um 2 Uhr in der Nacht keine Lieder singt, während die eigene Frau eine Armeslänge entfernt friedlich vor sich hinschlummert -  einen Atemzug nach dem anderen.
 

Ich stehe auf und schreibe meinen Feinden einen Brief,  werfe ihn in den Mülleimer und hoffe, dass die Städtische Müllabfuhr ihn an das richtige Ziel befördern wird - an die Ratten und Schmeißfliegen. Ich denke an Franz Josef Strauß.
 

Überall gibt es Straßen, die nach dem verstorbenen Politiker benannt sind, Flughäfen, Ämter, Bordelle, Scheißhäuser. Geldstücke erinnern uns an sein Aussehen. Die Stadt München spricht noch immer seine Sprache - vielleicht sprach er aber auch nur die Sprache der Stadt München. Wer will das heute noch differenzieren?
 

Werden wohl jemals Straßen, Stadtteile, Landstriche nach Angela Merkel benannt? Eher Geisterbahnen oder Damen-Kostüm-Verleihe. Vielleicht aber auch nur eine Haar-Rundbürste. Wie hätte Franz Josef Strauß Angela Merkel "ausgeschaltet", frage ich mich und denke wieder zurück an den Vollblutpolitiker Franz Josef Strauß, die schnaufende Dampfmaschine, die vor lauter innerem Druck immer zu zerspringen drohte.
 

Hätte Franz Josef Strauß, so wie er es ursprünglich einmal vor hatte, Ananas gezüchtet in Kanada, wäre er sicherlich viele Jahre später explodiert. Es gäbe keine Straßen, keine Flughäfen, die seinen Namen trügen. Höchstens eine Sorte saurer Ananas, die es vereinzelt in Münchner Obstläden zu kaufen gegeben hätte.
 

Günther Grass dagegen lebt noch immer. Ratten und Schmeißfliegen überstehen wahrscheinlich auch den nächsten Atomkrieg. Fettleibige Politiker mit Sicherheit nicht. Sie planen stattdessen zu Lebzeiten Atomkraftwerke. Die überleben sie allerdings auch nicht.
 

Ich sehe auf die Uhr, ob es Zeit ist. Es ist nicht Zeit - es ist lediglich etwas später. Ich denke neben Franz Josef Strauß auch an all die Menschen, die den Text mit dem Titel "Gedanken an Franz Josef Strauß" lesen werden und irgendwann erkennen, dass alles sinnlos ist. Diese Leser tun mir bereits jetzt, Tage oder Monate vorher, aufrichtig leid, werde ich ihnen doch ein Stück ihrer Zeit gestohlen haben. Ich würde ihnen ein Stück meiner Zeit schenken - am liebsten die Zeit zwischen 2 und 4 Uhr in der Nacht.
 

Ich denke daran, einzuschlafen - friedlich.

 
 
 
 
Udo Schmitt, Oktober 2001
 
 
 

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