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Mein Lebenslauf 
 
 

Einst hatte mir ein alter Mann prophezeit, ich werde einmal sein, wie ich bin und gewesen sein, wie ich einmal sein werde. Der alte Mann sah mich dabei lange und prüfend an. Dann schloß er die Augen und ich ging. 

Dieser Satz begleitete mich mein ganzes Leben, bis zu jenem Tag vor zwei Wochen. Immer wenn es darum ging, daß ich mich auf meinem Weg für eine bestimmt Richtung entscheiden mußte, erinnerte ich mich an die weisen Worte des alten Mannes und nahm dann den Weg, der mir am wenigsten anstrengend zu sein schien. Vier Frauen gab es in meinem Leben. Vier Frauen, sechs Kinder und fünfundzwanzig Liebesschwüre. Es gab auch einen Mann in meinem Leben - er hieß Dieter und war mein Steuerberater. Wir telefonierten aber nur miteinander - im Grunde kannte ich lediglich seine Stimme. Aber die kannte ich sehr gut, d.h. ich erriet es meistens sofort, wenn er am Apparat war. Die Schule besuchte ich auch, regelmäßig. Nachdem ich fertig damit war, wußte ich 2 Jahre lang nicht, was ich tun sollte. Deswegen studierte ich. Sinologie und Philosophie ... Nein, BWL und Psychologie, glaube ich. Mein Motto war immer: Bleibe dir selber treu. Und das blieb ich auch. Mein Leben lang. Nur einmal machte ich eine Ausnahme und heiratete Sibylle. Sibylle blieb aber hauptsächlich einem anderen Mann treu. Als ich sie eines Tages zusammen mit ihm auf frischer Tat ertappte, blieb ich mir selber treu und sagte gar nichts. Irgendwann einmal sagte ich dann doch etwas, so in etwa: Es ist aus! Sibylle nickte nur und mir war alles klar. Von da an heiratete ich nicht mehr. Meine Kinder tragen alle verschiedene Namen. 

Irgendwann traf ich den alten, weisen Mann wieder, und fragte ihn, wie er seinen weisen Spruch denn gemeint hatte. Er konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern. So beschloß ich, von nun an alles anders zu machen. Ich kaufte mir ein Fahrrad. Der Reifen ging jedoch schnell kaputt und es hing von da an nur noch in der Garage. Ich hatte es bald wieder vergessen. 

Mein Leben änderte sich grundlegend, als ich mit 10 weiteren Idioten in so eine Blechbüchse gesperrt wurde. Ich stand ein paar Tage dumm herum und war anschließend berühmt. Danach rissen sich die Plattenfirmen um mich. Viele Journalisten fragten mich nach meinem Leben. Ich sagte ihnen, daß ich immer nach dem Motto gelebt hatte: Ich werde einmal sein, wie ich bin und gewesen sein, wie ich einmal sein werde. Das hatte mir eine Wahrsagerin, die 200 Jahre alt war, vorhergesagt. Die Plattenproduzenten fanden das gut und machten einen 
Schlager daraus. Ich landete einen Hit. Den Journalisten mußte ich sehr viel aus meinem Leben erzählen und wie es dazu kam. Aber daran konnte ich mich selber nicht erinnern. Unablässig wollte man mir Geld geben. Ich sagte den freundlichen Herren, daß ich ein bescheidener Mensch sei. Das Geld nahm ich allerdings trotzdem. Als das Interesse um mich langsam nachließ, schrieb ich ein Buch mit dem Titel: Ich werde einmal sein, wie ich bin und gewesen sein, wie ich einmal sein werde. Mein Verleger sagte aber, der Titel sei zu lang. Deswegen erschien das Buch erst gar nicht. 

Ich dachte auch an Selbstmord. Darüber hatte ich in einer Zeitschrift gelesen. Ansonsten dachte ich noch an Dieter und Sibylle. Sibylle hatte jetzt Hermann. Und einmal dachte ich an den Tod. Dann starb ich und war tot für immer. 
 

 
 
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