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Sand
 
 
Eigentlich war es zum Lachen. Hermann wurde von einer Schwermut
befallen, die er nur zu gut von anderen Dichtern, oder Individuen, die
sich zumindest dafür hielten, kannte. Warum blieb es nicht. aus, das
Gefühl der Leere, der Sinnlosigkeit, in dem  üblicherweise  recht
sonderbare Lyrik verfaßt wurde, die von splitternackten Landschaften
und augenlosen Wasserköpfen erzählte? Warum wurden alle Schriftsteller
von diesem gleichen Sog erfaßt, der Magenkrämpfe, Blähungen, Störungen
des  Verdauungssystemes mit sich brachte, und mußten  mit  immer  der
gleichen Faszination davon  berichten?  Im  Grunde  war  jegliche
schriftstellerische Arbeit sinnlos. Sie bewirkte nichts, alles  ging
seinen  gewohnten Gang. Hermann konnte nur  seufzen,  ohne  sich  dazu
zu  entschließen, sein Seufzen zu Papier zu bringen, so,  wie  es
alle seine Kollegen gewinnbringend handhabten. Er brachte
Erleichterung,  dieser unästhetische Akt, sich von giftigen Dämpfen
und  Gasen  zu  befreien. Ausweglosigkeit war modern, man gefiel sich
darin, mit einem  hilflosen Gesichtsausdruck auf die  Sinnlosigkeit
jeglichen  Tuns  hinzuweisen. Noch bevor ein Schritt nach vorn gemacht
wurde,  mußte  er  schon als sinnlos erklärt werden, so daß sich jeder
überlegen mußte,  ob  es nun wirklich sein Wunsch war,  diesen
Schritt  auszuführen.  Spontaneität konnte in  diesem  Gefühl  der
Unsicherheit  nicht  mehr  existieren. Resignation war des Dichters
Botschaft.  Das  absolute  Nichts  wurde heraufbeschworen, das Nichts,
dem man  bereits  philosophische  Größen zurechnete, dem sich nur
intellektuelle Geister widmen  konnten,  unermüdlich darum bemüht, es
mit Worten zu umreißen, es faßbar  zu machen. Doch war in derartigen
Diskussionen alles so unfaßbar,  unberechenbar, weitab jeglicher
Realität, daß sich der vielzitierte Normalbürger  darum gar nicht
kümmern konnte und auch  nicht  brauchte.  Er  mußte nur Bewunderung
aufbringen, und tat er es nicht, durchschaute er  die  banalen Worte
einer ganzen Schreibergeneration, so waren die Anbeter des
Nichts beleidigt und begannen, sich  in  sich  selbst  zurückzuziehen,
nicht etwa um zu schweigen, sondern vielmehr den Lauten ihrer
gekränkten Seele zu lauschen und dieses  Röcheln  und  Gurgeln  zu
Papier zu bringen und wiederum meistbietend zu verkaufen.
 
Hermann hatte den  Literaturbetrieb  gründlich  satt.  Literaten  war
der Ausdruck für jenes geschwätzige Volk, das seine Depressionen nicht
für sich behalten konnte und sie zum Allgemeingut erhoben. Anteilnahme
wurde gefordert, erdachte  Schicksale  mußten  von  Lesern  bewältigt,
verdaut werden.  Literatur  spielte  sich  nach  Hermann  derzeitiger
Meinung hauptsächlich in  den  Verdauungsorganen  ab,  ging  zumindest
aus ihnen hervor. Wozu sich mit  erfundenen  Personen  abgeben,  warum
ihnen eine Träne nachweinen? Jedes Wort  verstärkte  nur  die  Qualen,
jeder Satz verursachte neue Übelkeit. Selbst Hermanns bisherige
Literatur  ordnete sich bereitwillig in diese Kategorien ein. Dies
bewirkte offenbar  der Zeitgeist, von dem jeder wie von einer
Modewelle  völlig  wehrlos  und fast unbemerkt erfaßt wurde. Nur die
Rückbesinnung  brachte  die Erkenntnis. Sie fiel ihm wie Schuppen von
den Augen.
 
 

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